Literaturerbe


Spielt Gedichte!

von Friedrich W. Block und Maria Rehborn

Schüler*innen treffen Autor*innen auf der Bühne – ein neues Projekt der poetischen Bildung in Kassel

»Die Vorbereitung unserer Inszenierung empfanden wir als bereichernd, und es war für uns ein einzigartiges und spannendes Erlebnis, das Ergebnis vor Publikum und der Autorin [Nora Gomringer] vorzuführen. Im Anschluss nahmen wir mit Nora Gomringer an einer Diskussionsrunde zu dem außergewöhnlichen Verfahren der Inszenierung von Gedichten teil, die von dem Initiator Dr. Friedrich Block geleitet wurde. Wir waren uns einig, dass die kreative Auseinandersetzung mit dichterischen Werken ein intensiveres Literaturverständnis ermöglicht und wir vor allem auch durch den persönlichen Austausch mit der Autorin Lyrik in einer ganz besonderen Weise erfahren konnten.«[1]

Schülerinnen des Leistungskurses Deutsch am Kasseler Lichtenberg-Gymnasium mit Nora Gomringer nach ihrem Auftritt im Schultheaterzentrum Nordhessen am 8.5.2023. Foto: Anja Köhne.

Der Ansatz: Junge Menschen performen komische Gedichte der Gegenwart und begegnen Autor*innen 

Am Beginn des Projekts »Spielt Gedichte!«, das jetzt bereits im dritten Jahr läuft, steht der Ansatz, produktiv mit Gedichten der Gegenwart umzugehen, sie als Partitur zu begreifen und für den Vortrag bzw. das Performen auf der Bühne, auch mit audiovisuellen Medien, zu inszenieren. Aktive Begegnungen mit den Autorinnen und Autoren der Gedichte sind dabei konstitutiver Bestandteil des Konzepts. Es geht also nicht ums kreative Schreiben, das allenfalls als hinführende Methode zum Tragen kommt. Vielmehr erfolgt der Zugang zum Gedicht über das darstellende Spiel, über den eigenen stimmlich-körperlichen Vortrag im Raum. Dieses Vorgehen ist bislang einzigartig im Kontext kultureller bzw. ‚poetischer Bildung‘.[2]

Das Projekt wird von der Stiftung Brückner-Kühner und dem Schultheaterzentrum Nordhessen getragen. Es kooperieren die WELL being Stiftung, der Offene Kanal Kassel und das Netzwerk Lyrik – und natürlich eine ganze Reihe von Schulen. Förderung gab es bislang u. a. von der ALG, dem deutschen Literaturfonds, der Stadt Kassel und dem Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst.

Ziel des Projekts ist es, jungen Menschen mit ganz unterschiedlichem Bildungshintergrund die Faszination zeitgenössischer Poesie zu eröffnen, indem die Schülerinnen und Schüler aktiv und kreativ auf Gedichte reagieren, sie umsetzen und inszenieren. Diese Form poetischer Bildung kann die jungen Menschen ermächtigen, die Vielfalt, Offenheit, Schönheit, Sprachsensibilität und kritische Kraft poetischer Texte zu erleben. Denn das Gedicht ermöglicht wie wenig andere Kunstformen, den Erfahrungen mit den enormen Herausforderungen der Gegenwart Ausdruck zu geben. Dabei standen im bisherigen Prozess von 2021 bis 2023 komische Gedichte im Zentrum. Komik hilft, Schwellen zu überwinden, und das vermeintlich Schwere leichter zu nehmen, ohne es auszublenden.

Die Begegnung mit hochkarätigen Dichter*innen und deren direkte Beteiligung an der kreativen Erarbeitung eines oder mehrerer ihrer Gedichte durch die Schulgruppen bieten besondere Erfahrungsmöglichkeiten: Die Autor*innen der Gedichte kommen einige Wochen vor der Endprobenphase nach Kassel direkt in die beteiligten Schulen und geben einen Intensivworkshop. Dieser Workshop wird individuell in enger Absprache mit der betreuenden Lehrkraft gestaltet und hängt inhaltlich von der Autorenpersönlichkeit, dem jeweiligen Gedicht und der Arbeitsweise der Gruppe ab. Das Ergebnis ist offen, der Arbeitsprozess experimentell.

Nach einem längeren Erarbeitungsprozess führen die Gruppen ihre Ergebnisse dann vor Publikum an Präsentationstagen im Schultheaterzentrum Nordhessen vor, das den prächtigen Bühnenraum des neuen Veranstaltungshauses UK14 nutzt. Dazu finden Gesprächsrunden unter Beteiligung von Schüler*innen, Autor*innen und Lehrerkräften statt, um die Prozesse in den Gruppen auszutauschen, zu reflektieren und zu diskutieren. Die Präsentationen und die Gespräche werden vom Offenen Kanal Kassel filmisch dokumentiert und gesendet. Das Dokumentationsmaterial wird zurzeit aufbereitet, um es als Online-Materialpool (spielt-gedichte.de) allen Interessierten zugänglich zu machen.

Bisheriger Werdegang des Projekts: Start im Corona-Jahr 2021

Am ersten Präsentationstag im Schultheaterzentrum Nordhessen: Friedrich W. Block (Stiftung Brückner-Kühner), Christian Maintz (Dichter), Ede Müller (Schultheaterzentrum), Dagmara Kraus und Karla Reimert (Dichterinnen), Maria Rehborn (Schultheaterzentrum), dahinter Mitglieder des LK Musik der Jacob-Grimm-Schule. Foto: Karl-Heinz Mierke.

2021 startete das Projekt ausgehend von einer Initiative der Stiftung Brückner-Kühner. Die erarbeiteten Gedichtpräsentationen der Schülerinnen und Schüler waren Teil eines größeren kulturellen Programms in Kassel anlässlich der 100.  Geburtstage des Schriftstellerpaares Christine Brückner und Otto Heinrich Kühner. Kühner ist Autor komischer Gedichte, von denen auch einige im Projekt inszeniert wurden.

Zehn Gruppen unterschiedlicher Schulformen – Grund-, Förder-, Gesamtschulen und Gymnasien – arbeiteten mit den Dichter*innen Dagmara Kraus, Karla Reimert, Christian Maintz und Dalibor Marković zusammen. Einige Gruppen beschäftigten sich auch ohne direkte Beteiligung eines*r Autor*in mit einem Gedicht.

Entstanden sind theatrale Aufführungen, musikalische Präsentationen sowie Filme, da aufgrund der Corona-Pandemie besonders auch digital gearbeitet werden musste. Das Format Poesiefilm bzw. Poetryfilm, das sich unter diesen Bedingungen angeboten hat, ist ein eigenes Genre,[3] das sich wie die Bühnenpräsentationen wunderbar für die Umsetzung von Gedichten mit Schüler*innen eignet und entsprechend in den Projektrahmen integriert wurde.

Den Film ›Das Lächeln‹ von Otto Heinrich Kühner, ein Poesiefilm der Erdmännchen-Klasse 2020/21 von der Schule am Wall Kassel unter der Kursleitung von Birgit Jeschonneck können Sie hier sehen.

Am 2. Juli 2021 wurden erstmals Aufführungen bzw. Filmpräsentationen im Schultheaterzentrum Nordhessen unter strengen Corona-Auflagen live vor einem kleinen Publikum gezeigt. Für jede Gruppe gab es eine genaue Zeitvorgabe von ca. 10 Minuten. Es fanden drei Gesprächsrunden auf der Bühne und weitere im Plenum mit den Zuschauern statt. Die Veranstaltung wurde vom Offenen Kanal Kassel aufgezeichnet und gesendet.

Im Jahr 2022 organisierten wir am 1. Juni 2022, immer noch unter Corona-Ausnahmebedingungen, einen »Spielt-Gedichte«-Tag im Rahmen der Nordhessischen Schultheatertage. Am Vormittag fanden eigens für das Projekt von unserem organisatorischen Team konzipierte und angeleitete Workshops für Schülerinnen und Schüler statt, deren Ergebnisse, die Umsetzung eines Gedichtes von Bas Böttcher, am Nachmittag direkt auf der Bühne präsentiert werden konnten. Dazu kamen zwei weitere Präsentationen aus anderen Schulen. In diesem Jahr lief das Projekt ohne Autor*innen, da die Aufführungsbedingungen immer noch schwierig waren und außerdem noch kein Budget zur Finanzierung der Autor*innenbesuche zur Verfügung stand. Das sollte sich im Laufe des Jahres ändern.

Wieder große Bühne in 2023 beim Kasseler Komik-Kolloquium

Nach einer Vorbereitungsphase von einem Dreivierteljahr fand am 8. Mai 2023 im Rahmen des Kasseler Komik-Kolloquiums ein Präsentationstag im Schultheaterzentrum Nordhessen statt. Das Kasseler Komik-Kolloquium ist ein seit dem Jahr 2000 von der Stiftung Brückner-Kühner mit Partnern veranstaltetes Festival zur Literatur und Wissenschaft des Komischen. Ein Festivaltag widmete sich ganz dem Projekt »Spielt Gedichte!«. Finanzielle Unterstützung gab es von der WELL being Stiftung und aus dem Festival-Budget. Beteiligt waren 10 Gruppen verschiedener Schulen, wobei sich die Kooperationen über Nordhessen hinaus bis ins mittelhessische Lollar erweitert haben. Es ging um die Inszenierung der Gedichte von Bas Böttcher, Timo Brunke, Nora Gomringer, Dalibor Marković und Karla Reimert. Die Autor*innen hatten jeweils zwei Gruppen für Workshops und teilweise auch für Lesungen besucht.

Die Ergebnisse der Gruppen von der 6. bis zur 13. Jahrgangsstufe waren vielfältig und absolut faszinierend. Gearbeitet wurde mit Stimme, Körpereinsatz, Tanz, Musik, Requisiten und Raumgestaltung, mit malerischen Mitteln, Video und sogar mit künstlicher Intelligenz. Die Autor*innen, von denen vier eng mit der Spoken-Word- bzw. Perfomance-Poetry verbunden sind, hatten die Schulgruppen in den Workshops bei der Gedichtauswahl beraten, sie an ihre Gedichte und an Formen der Umsetzung herangeführt, in einem Fall mit ihrer Gruppe ein Gedicht für die Aufführung in ein neues umgeschrieben oder sich in einem anderen Fall selbst an der Performance auf der Bühne beteiligt. Der Abend gehörte dann ganz den Dichter*innen als »Stimmen der Poesie«, die sich auf der Bühne vor nicht nur jungem Publikum mit ihren Beiträgen spontan und wechselseitig aufeinander bezogen.

Theaterbearbeitung des Gedichts »Schatzkarte« von Bas Böttcher durch den Kurs Darstellendes Spiel der Jahrgangsstufe 12 des Wilhelmgymnasiums Kassel gemeinsam mit Bas Böttcher, Kursleitung: Kirstin Porsche. Foto: Anja Köhne.
Die Klasse 6a der Wilhelm-Leuschner-Schule in Niestetal inszeniert das Gedicht »Grimmiade« von Timo Brunke, Kursleitung: Patricia Gutheil. Foto: Anja Köhne.
Gesprächsrunde im vollbesetzten Saal der UK14 am 8. Mai 2023. Foto: Anja Köhne.

In den begleitenden Gesprächen hoben die Schülerinnen und Schüler hervor, wie befreiend und inspirierend sie die Möglichkeit erlebt hätten, sich Gedichte anders als mit einer klassischen Gedichtanalyse des Deutschunterrichts kreativ und subjektiv zu erschließen. Statt des Ringens um die richtige Interpretation und die Intention des Autors habe es vielmehr das Ringen um Wörter, Bilder und Klänge gegeben, ganz persönliche Zugänge und ein intensives Eindringen in die Welt des Gedichts. Darin wurden sie von den anwesenden Autor*innen bestätigt: DIE richtige Interpretation gebe es gar nicht, dagegen Vielfalt und Mehrdeutigkeit, ihre vermeintliche Intention sei eine Fiktion.

Der Offene Kanal Kassel unterstützte das Projekt wieder mit einer Aufzeichnung der Veranstaltung sowie beim Filmschnitt und der Technik für die einzelnen Gruppen.

Wir hoffen sehr, dass wir dieses neue Format der poetischen Bildung weiterentwickeln und auch die dafür notwendigen Ressourcen finden können. Aktuell betreiben wir die Auswertung des Materials aus den drei Jahren, auch für die Online-Plattform, und wir stellen uns Fragen wie: Wen haben wir erreicht? Was hat funktioniert? Was hat sich für die jungen Menschen am Zugang zu Gedichten verändert?


[1] Madeleine Capar, Cora Dockhorn, Sophia Perla Hirsekorn, Kiara Lang, Juliana Peilmann, Zoe Sophie Reuting, Pia Steinhäuser, Giovanna Weiß vom Deutsch-Leistungskurs des Lichtenberg Gymnasiums Kassel unter Leitung von Dr. Stefanie Wenzel über ihre Erfahrungen aus dem Jahr 2023 im Projekt »Spielt Gedichte«.

[2] ‚Poetische Bildung‘ ist ein noch junger Begriff für die Vermittlung eines produktiven Umgangs mit Lyrik. Das Haus für Poesie in Berlin zum Beispiel entwickelt dazu ein spezifisches Programm.

[3] Vgl. hierzu z.B. das Berliner Poetryfilm-Festival ZEBRA.

Partizipativer Mehrwert durch Kooperation: Die »Murnauer Horváth-Tage«

von Gabi Rudnicki

Das Schlossmuseum Murnau bietet neben den Gemälden der Weltkunst des Blauen Reiters auch die weltweit einzige ständig gezeigte Ausstellung zu Horváth. Ein Horváth-Rundweg durch den Ort zeigt in zwölf Stationen die engen biografischen und literarischen Bezüge zwischen Horváth und Murnauer Schauplätzen, Ereignissen und Personen. Das größte Festival zu Leben und Werk Ödön von Horváths sind die Murnauer Horváth-Tage, ein breit gefächertes, rund einwöchiges Kulturprogramm, mit dem die ortsansässige, ehrenamtlich tätige Ödön-von-Horváth-Gesellschaft alle drei Jahre an Leben und Werk des Literaten von Weltrang erinnert. Namhafte Künstler*innen und Wissenschaftler*innen, ein motiviertes Kreativteam sowie engagierte Laien bieten eine spannende Mischung aus Theater, Lesung, Ausstellung und Diskussionen.

Im Gegensatz zu größeren Städten bietet ein vergleichsweise kleiner Ort mit den vielen persönlichen Kontakten und Netzwerken große Chancen in der Umsetzung künstlerischer Projekte. Anfragen lassen sich leichter stellen und organisatorische Probleme schneller lösen, wenn sich die jeweiligen Ansprechpartner*innen untereinander kennen.

Die Verantwortlichen der Ödön-von-Horváth-Gesellschaft kooperieren für die Murnauer Horváth-Tage lokal, national und international mit verschiedenen Institutionen, um jedes Mal ein breites Publikum anzusprechen, neue Wege zu beschreiten und neue Themen und Perspektiven anzugehen.

Es sei hier ein großes Plädoyer ausgesprochen für Kooperationen von Vereinen, Institutionen und Schulen. Je mehr Menschen sich in der Planung und Organisation einer ein- oder mehrtägigen Veranstaltung einbringen, umso breiter kann die literarische Vermittlung greifen und Menschen ansprechen, die sich ihrer jeweiligen Gruppe zugehörig fühlen, Angehörige von Mitwirkenden sind und schon einfach deswegen die Veranstaltungen besuchen, ohne dass sie sich von Haus aus für das literarische Werk (hier Ödön von Horváths) interessiert hätten.

Verschiedene beteiligte Gruppen können auch verschiedene Schauplätze bedingen: Bei den bisherigen Horváth-Tagen seit 1998 kooperierten wir zum Beispiel mit Künstler*innenvereinen in Murnau, die jeweils das Motto des Festivals (z. B. 1998 Schuld) bildnerisch umsetzten und die Werke in ihren angestammten Ausstellungsräumen zeigten. Eine Theater-Gruppe der evangelischen Kirchengemeinde erstellte 2022 bereits zum vierten Mal ein Projekt, bei dem Horváths Werk in seinem Schwerpunkt zum Thema »Gott und Gottsuche« im Mittelpunkt stand. Schauplatz war jeweils die evangelische Kirche in Murnau.

Kooperationen bieten auch die Chance, bereits vorhandene Strukturen und Erfahrungen einer Gruppe für das »große Ganze« nutzbar zu machen. Als Beispiel hierfür sei unsere Zusammenarbeit mit dem in Murnau ansässigen Verein Kunterbunt e. V. genannt. Der Verein kümmert sich um Menschen mit körperlicher und geistiger Beeinträchtigung, veranstaltet für sie Reisen sowie Kunst- und Theaterfreizeiten. Die Idee, die Ergebnisse dieser Freizeiten in die Murnauer Horváth-Tage zu integrieren, entstand im persönlichen Gespräch der beiden Vorsitzenden. Im Rahmen der für sie bereits bekannten und vertrauten mehrtägigen Freizeiten erarbeiteten die Beteiligten unter (An-)Leitung ihrer Kunsttherapeut*innen bzw. mit Künstler*innen, Theaterpädagog*innen und Regisseur*innen ihre Beiträge zu den Murnauer Horváth-Tagen. So entstand für die Horváth-Tage 2019 das inklusive Theaterprojekt Sportmärchen, das die gleichnamigen Texte Horváths zugrunde legte und individuell interpretierte. Zu den Horváth-Tagen 2022 unter dem Motto Trau! Schau! Wem? trug Kunterbunt die Ausstellung Haus Sonne Baum sowie das Theaterstück Ver-)Trau dich!zum Thema Vertrauen bei. Die Werke regten beim Publikum neue Sichtweisen auf die Horváth-Texte an bzw. machten überhaupt erst neugierig darauf. Kunterbunt kümmerte sich um die Organisation der Freizeiten und der Veranstaltungen als solcher. Die Ödön-von-Horváth-Gesellschaft zeichnete für die Anmietung der Räume, den Kartenverkauf, die Werbung und die finanzielle Endabwicklung verantwortlich. Ein Beispiel dafür, wie durch das Zusammenwirken zweier gewachsener Strukturen von Vereinen ein Mehrwert für alle Beteiligten entstehen kann: Die Schauspielenden erhalten öffentliche Anerkennung (auch in der Presse), sind selbstverständlicher Teil der Horváth-Tage, das Publikum erlebt eine ganz besondere Veranstaltung und die beiden Vereine entlasten sich gegenseitig organisatorisch und gegebenenfalls finanziell im Sinne des Ganzen.

Szene aus „(Ver-)Trau Dich!“. Inklusive Theateraufführung von Kunterbunt e.V. im Rahmen der Murnauer Horváth-Tage 2022. © Ödön-von-Horváth-Gesellschaft, Foto: Christian Kolb
Szene aus (Ver-)Trau Dich!. Inklusive Theateraufführung von Kunterbunt e.V. im Rahmen der Murnauer Horváth-Tage 2022. © Ödön-von-Horváth-Gesellschaft, Foto: Christian Kolb

Schulen sind auch in kleinen Orten im ländlichen Raum vorhanden und Institutionen, die sich gut als Kooperationspartner*innen anbieten. Der Schulalltag lässt zwar oft wenig Spielraum für Sonderaktionen, dennoch bietet sich durch die zunehmend projektorientierten Vorgaben der Lehrpläne bzw. Projekte, die gut in den Schulalltag passen, einiges in der Literaturvermittlung mit hohem Partizipationswert an.

Für die Ödön-von-Horváth-Tage 1998 veranstalteten wir mit rund einem halben Jahr Vorlauf einen Illustrationswettbewerb zu Horváths Sportmärchen, kurzen, pointierten Texten aus der Welt des Sports, ein Thema also, das den Kindern und Jugendlichen von Haus aus gelegen kommt. Die Ausschreibung, einen der Texte Horváths zu illustrieren, richtete sich an alle Schularten von der Grund-, Mittel- und Realschule über die Förderschulen bis zu den Gymnasien. Die eingereichten Werke wurden von einer Jury, bestehend aus Künstler*innen, Lehrkräften und Mitwirkenden der Horváth-Tage nach Altersstufen prämiert, örtliche Geschäftsleute stifteten Preise und während der Horváth-Tage fand die Preisverleihung und Ausstellung der Werke statt. Es bedarf engagierter Lehrkräfte und einer entsprechenden Organisation im Vorfeld. Auch hier sind die gerade in kleineren örtlichen Strukturen vorhandenen persönlichen Kontakte hilfreich und gewinnbringend. Der Stolz der beteiligten Kinder und Jugendlichen (und ihrer Eltern und Verwandten) ist groß – und alle mussten sich im Vorfeld mit den literarischen Texten beschäftigen.

Wahlfach- bzw. Neigungsgruppen an bestimmten, meist weiterführenden Schulen bieten sich für speziellere Themen an. In Bayern gibt es die so genannten P-Seminare, die im Lauf von eineinhalb Jahren ein praxisorientiertes Projekt auf die Beine stellen. Für die Murnauer Horváth-Tage 2022 kooperierten wir mit dem Murnauer Staffelsee-Gymnasium. Der dortige Leiter der Gruppe Dramatisches Gestalten hatte in Absprache mit uns ein P-Seminar mit dem Titel Beitrag zu den Murnauer Horváth-Tagen 2022 angeboten, das 15 Jugendliche (Höchstzahl!) auswählten. In engem Kontakt mit den Verantwortlichen der Horváth-Tage wurden die Jugendlichen in dreifacher Weise eingebunden: Sie trugen einen kurzen theatralen Beitrag zur Eröffnungsveranstaltung mit Verleihung der Ödön-von-Horváth-Preise bei, einige von ihnen waren eng in die Organisation (Verteilen von Plakaten, Infobroschüren, Programmheften, Abendorganisation bei Veranstaltungen, Back-Stage-Betreuung von Künstler*innen wie Josef Hader und Johanna Wokalek) eingebunden und die Gesamtgruppe erstellte gemeinsam ein Theaterstück. Dazu adaptierte eine Schülerin Horváths Komödie Zur schönen Aussicht. Zusammen mit der betreuenden Lehrkraft entstand von der Stückauswahl, über Texterstellung, Plakatgestaltung, Kostüm- und Musikauswahl und Probenorganisation eine beeindruckende Inszenierung, die gleichberechtigter Teil der Veranstaltungen war. In der Rezension hieß es treffend: »Das Außergewöhnliche an der Interpretation der Murnauer Gymnasiasten (zwölfte Klasse) um Lehrer Johannes Riedelsheimer ist der Ansatz. Sie haben es doch tatsächlich geschafft, diesen oft gähnend langwierigen Stoff gehörig zu straffen (53 Minuten!), die komödiantischen wie inhaltsschweren Elemente zu erhalten und das Theater in die 2020er Jahre zu transponieren. (…) Und sie zimmern ihr Stück mitten hinein ins Publikum, das Requisite wird. (…) So geht Horváth 2022.« (Andreas Mayr, vom 18.11.2022: Und am Ende noch der Vorschlaghammer. Murnauer Horváth-Tage. Gymnasiasten transponieren Horváths Stück »Zur schönen Aussicht« ins Hier und Jetzt. Murnauer Tagblatt)

Szene aus Zur schönen Aussicht in der Inszenierung des P-Seminars Staffelsee-Gymnasium Murnau, Murnauer Horváth-Tage 2022. Schauplatz: Westtorhalle Murnau, ein Veranstaltungsort mit Bar. © Ödön-von-Horváth-Gesellschaft, Foto: Christian Kolb

Eine Schülerin schrieb, sie wolle sich »bedanken, dass ich Teil der diesjährigen Horvath-Tage sein durfte. Ich hab dadurch so viel erlebt und echt tolle Begegnungen mit tollen, außergewöhnlichen Menschen machen dürfen. Es war die beste Entscheidung, mich für dieses P-Seminar anzumelden, es hat einfach unglaublich viel Spaß gemacht! Durch die Horvath-Tage letztes Jahr durfte ich persönlich sehr wachsen.« Eine andere nahm das Projekt zum Anlass, sich bei der Filmhochschule anzumelden. So konnte das Projekt nicht nur im Sinne der Vermittlung des kulturellen Erbes, sondern auch biographisch etwas bewirken.

Die Wahl eines Mottos für die jeweiligen Horváth-Tage hat sich als hilfreich erwiesen, z. B. »Trau! Schau! Wem?« (2022), Künstlerfreunde und Zeitgenossen (2010), Tanz auf dem Vulkan (2019). Ein solcher Themenschwerpunkt öffnet das Projekt in verschiedene Richtungen und ermöglicht so den (Umweg-)Zugang zu literarischen Projekten auch für Gruppen, die sich mit dem direkten Zugang zur Literatur möglicherweise schwertun würden.

Die Murnauer Horváth-Tage werden seit Jahren vom Markt Murnau am Staffelsee als Kommune unterstützt, gehört doch Ödön von Horváth wie oben beschrieben zum kulturellen Erbe des Ortes. Dazu kommt eine wohlwollende Begleitung durch die örtliche Presse und Anzeigenschaltungen von Geschäftsleuten im Programmheft. Auch dies Anerkennung und gute Voraussetzung zum Gelingen eines solchen Projektes.