Literaturerbe


Aufwachsen im ländlichen Raum und Zugang zu kulturellen Veranstaltungen

von Sarah Skoda

Während meiner Schulzeit haben sich Klassenkamerad*innen und Freund*innen häufig beklagt, dass es in der Umgebung kaum Möglichkeiten gab, sich als Jugendliche*r auszutoben. Wer etwas erleben wollte, musste nach Berlin fahren. Heute sieht es nicht anders aus. Nur liegt der Fokus inzwischen mehr auf kulturellen Angeboten. Zwar wird in meinem Heimatort versucht, diesen mittels regelmäßiger Abendveranstaltungen im Kulturhaus oder Wochenendveranstaltungen im Museumspark wiederzubeleben, nur leider richten sich diese Angebote meistens an die Generation meiner Großeltern oder an Familien mit Kindern. Für mich heißt es also auch heute noch, wenn ich meinen Interessen nachgehen möchte und bei meiner Familie zu Besuch bin, muss ich schauen, welche Möglichkeiten es gerade in Berlin oder auf dem digitalen Weg gibt.

Nach meinem Schulabschluss bin ich zum Studieren an die Ostsee gezogen und wohne auf der Insel Usedom. Die Insel bietet eine Vielfalt an Landschaften und der Strand ist nie weit entfernt. Wer also gerne in der Natur und fernab von Orten und anderen Menschen unterwegs ist, der findet zahllose Möglichkeiten, etwas zu unternehmen. Usedom ist aber nicht nur ein Naturparadies, sondern gleichzeitig auch eine Tourismushochburg. In den Sommermonaten (und teilweise schon im Frühjahr und noch im Herbst) ist auf den Straßen (oder besser gesagt: auf DER Hauptstraße) kein Vorwärtskommen möglich, aufgrund der hohen Auslastung in den Hotels und Ferienwohnungen. Im Winter hingegen wirkt die Insel wie ausgestorben.

Das zeigt sich auch anhand des Veranstaltungsangebots: Während im Sommer fast jedes Wochenende ein Konzert, eine Lesung oder Ähnliches stattfindet, gibt es im Winter so gut wie gar keine Angebote. Karten sind in der Regel sehr schnell vergriffen und sollte eine Veranstaltung kostenlos sein, bleibt einem nichts anderes übrig, als auf Kuschelkurs mit fremden Leuten zu gehen … Die Möglichkeiten sind also auch hier sehr begrenzt, weshalb ich froh bin, dass ich zumindest die Möglichkeit hatte, an Vorträgen und Lesungen, die in der Uni stattfanden, auch digital teilzunehmen.

Interessanterweise wurde ich dieses Jahr gebeten, an der Studie »Aufwachsen in Deutschland: Alltagswelten« teilzunehmen, in deren Kontext ich unter anderem gefragt wurde, wie häufig ich an kulturellen Veranstaltungen teilnehme. Nicht gefragt wurde ich hingegen, warum eine Teilnahme an kulturellen Veranstaltungen nur eingeschränkt oder gar nicht möglich ist. Das Problem scheint also bekannt zu sein, zumal die Studie bereits mehrfach durchgeführt wurde. Auch bei der Pisa-Studie ist jedes Jahr aufs Neue zu sehen, dass Deutschland schlecht(er) abschneidet. Man könnte also den Eindruck gewinnen, dass es in bestimmten Lebensbereichen nicht gewünscht ist, Möglichkeiten zu finden, Missstände zu verändern.

Die Veranstaltungsarbeit des Literaturhauses »Uwe Johnson« Klütz

von Dr. Anja-Franziska Scharsich

Vor- und Nachteile eines Sommerevents

Die Schloßstadt Klütz befindet sich mitten im Herzen des Klützer Winkels im nordwestlichen Mecklenburg und liegt gut erreichbar nahe Wismar und Lübeck und auch die Städte Schwerin, Rostock und Hamburg sind nicht weit. Klütz hat elf Ortsteile, in denen insgesamt 3000 Einwohner leben, darüber hinaus zieht sie jährlich – aufgrund ihrer Ostseenähe, der reizvollen Innenstadt und der schönen Natur – viele Touristen sowie Literaturfreunde an.

Seit April 2006 ist in dieser kleinen Stadt das Literaturhaus »Uwe Johnson« zu finden. Es beherbergt nicht nur die erste Dauerausstellung über Leben und Werk des Schriftstellers Uwe Johnson, sondern ist auch durch seine museumspädagogischen Angebote und die vielfältigen ganzjährigen Veranstaltungen eine Begegnungsstätte mit Literatur. Unsere Veranstaltungen widmen sich im Frühjahr, Herbst und Winter den literarischen Neuerscheinungen, aktuellen Diskussionen der Literaturszene sowie Jubiläen. Darüber hinaus finden ganzjährig Veranstaltungen für Kinder- und Jugendliche sowie Veranstaltungen rund um den Namensträger Uwe Johnson statt.

Aufgrund unserer ländlichen Lage ist es sinnvoll, mit anderen Einrichtungen oder Partnern (wie dem Schloss Bothmer oder den Festspielen MV) zu kooperieren, um Synergien zu nutzen. Im Hinblick auf Veranstaltungen für Kinder und Jugendliche haben wir die Erfahrung gemacht, dass es aufgrund der dezentralen Lage erfolgsversprechender ist, wenn wir mit der örtlichen Bibliothek, den Kindertageseinrichtungen und den Schulen der Region zusammenarbeiten. Mittlerweise haben wir hier auch drei Kooperationsverträge abgeschlossen, um die Zusammenarbeit zu verstetigen und auf die schulischen Wünsche besser eingehen zu können. Je nach Lage der Schule finden innerhalb des Schuljahres Veranstaltungen entweder im Literaturhaus oder in der jeweiligen Schule statt, denn das größte Problem stellt der in unserer Region nur rudimentär vorhandene öffentliche Nahverkehr dar. Dennoch gibt es auch Nachmittagsveranstaltungen, diese werden jedoch verstärkt in den Ferien angeboten und können so auch von den Urlauberfamilien wahrgenommen werden.

Unser jährlich größtes Projekt ist der „Klützer LiteraturSommer“, diesen führen wir traditionell in den Monaten Juni bis September durch. Er steht in jedem Jahr unter einem neuen Motto, das sich stets an aktuellen gesellschaftlich diskutierten Themen orientiert. Der Klützer LiteraturSommer ist seit Jahren ein fester Bestandteil der literarischen Arbeit des Literaturhauses „Uwe Johnson“ und hat sich über die Grenzen der Region Nordwestmecklenburg als eine besondere Veranstaltungsreihe etabliert. Geboten werden abwechslungsreiche, unterhaltsame literarische Auseinandersetzungen mit dem festgelegten Motto, die durch eine große Eröffnungsveranstaltung mit geladenen Gästen aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft eingeleitet werden.

Die verstärkte Veranstaltungstätigkeit im Sommer durch ein Special Event wie den LiteraturSommer wurde von uns bewusst gewählt, denn somit konnten wir die starke Frequentierung unserer Region als Tourismusdestination für unsere Zwecke nutzen. Wir können so gleichermaßen den Einheimischen und den Besuchern des nordwestlichen Mecklenburgs Literatur in all ihren Facetten präsentieren und haben damit einen großen Wertschöpfungseffekt. Grundvoraussetzung für die inhaltliche Gestaltung des literarischen Sommers ist nicht nur die umfassende Kenntnis des Literaturmarktes, sondern die genaue Kenntnis der regionalen Struktur sowie der Urlaubergruppen. Unsere Besucherstruktur ist in dieser Zeit stark durchmischt. Die Vorteile sind nicht nur höhere Besucherzahlen und damit verbundene Mehreinnahmen, sondern die Erweiterung der Strahlkraft des Literaturhauses. Urlauber werden zu Multiplikatoren über die Landesgrenzen hinaus.

Unsere Lage in einer ländlichen, aber vom Tourismus stark frequentierten Region ist für unsere Veranstaltungen von Vorteil, erschwert aber gleichzeitig unsere Arbeit. So sind zum einen aufwendige Veranstaltungen wie Tagungen oder mehrtägige Workshops schwierig zu realisieren. Dies ist zunächst der geringen Personaldecke geschuldet. Hinzu kommt dann aber auch die Schwierigkeit der Unterbringung der Autoren vor Ort, da in unserer Stadt kein Hotel mehr existiert. Problematisch erweist sich in jedem Jahr neu die Unterbringung der Autoren in den Hotels der umliegenden Urlaubsorte, da diese in der Hochsaison ungern Zimmer für nur eine Nacht vermieten. Gelingt dennoch in der Hochsaison eine Unterbringung im Hotel, dann ist diese für uns sehr kostenintensiv. Erstrebenswert ist hier eine langfristige Kooperation mit einem Hotel oder die Möglichkeit einer eigenen zum Veranstaltungsort gehörenden Unterkunft.

Ein weiterer Nachteil ist der in den Sommermonaten reduziertere öffentliche Nahverkehr, da sich die Fahrpläne des ÖPNV an den Schulzeiten orientieren. Somit ist eine Erreichbarkeit unserer Vormittags- und Nachmittagsveranstaltungen nicht immer und unserer Abendveranstaltungen nie mit dem regulären ÖPNV möglich. Unsere potenziellen Besucher müssen so auf andere Anreisevarianten (Auto, Fahrrad oder zu Fuß) ausweichen.

Die Themenreihen unseres LiteraturSommers wurden bisher u. a. von der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, der Kulturstiftung des Bundes, der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung, verschiedenen regionalen Kulturstiftungen sowie kontinuierlich auch vom Landkreis Nordwestmecklenburg sowie dem Land Mecklenburg-Vorpommern im Rahmen einer Projektförderung finanziell unterstützt. Ein wichtiger, verlässlicher und unverzichtbarer Partner und Unterstützer ist besonders in dieser Zeit der Förderverein Literaturhaus „Uwe Johnson“ Klütz e. V. Einen Verein als Unterstützer zu haben, hat den Vorteil, dass er unsere Arbeit nicht nur in ideeller und kommunikativer, sondern auch in finanzieller Hinsicht begleitet. Durch diese Organisationsform erhält man einen Zugang zu weiteren Förderern und Sponsoren. Jedoch sollte man auch die Nachteile einer Vereinsgründung bedenken. Der bürokratische Aufwand ist hoch und hat in den vergangenen Jahren eher zu- als abgenommen.

Um die einheimischen und touristischen Veranstaltungsbesucher auch als zukünftige Interessenten zu halten, ist eine regelmäßige Pflege dieser Zielgruppen notwendig. Hierfür hat sich vor allem das Mail-Marketing zu einem unserer effektivsten Marketingkanäle entwickelt. Grundstock hierfür bildet unser E-Mail-Verteiler, an dessen Auf- und Ausbau wir seit der Eröffnung des Hauses kontinuierlich arbeiten und dessen Basis ausschließlich freiwillige, rechtskonforme Anmeldungen sind. Durch den regelmäßigen Versand von Newslettern werden auch die außerhalb der Region lebenden Interessenten über Neuigkeiten und Veranstaltungen kosteneffizient informiert. Unserer Erfahrung nach haben wir auf diese Weise viele Urlauber als Stammbesucher und als wichtige Multiplikatoren gewonnen.

»Aber gut ist’s doch«

von Thorsten Jahn

Komplexität und Vielfalt im Fritz-Reuter-Literaturmuseum Stavenhagen:

»Die Straßen sind aufs beste gepflastert, und von den Toren der Stadt aus gehen direkte Chausseen nach Hamburg, Paris, Berlin und St. Petersburg.« (Fritz Reuter)

Fritz Reuter war der bedeutendste deutsche Dichter des Niederdeutschen. Er gilt gemeinsam mit Klaus Groth als Begründer der neueren niederdeutschen Literatur. Als großer Sohn der Stadt Stavenhagen ist er in der Region allgegenwärtig. Die Stadt führt seit dem 12. Juli 1949 die amtliche Bezeichnung Reuterstadt vor ihrem Namen. Dieser Titel ist ihr von der ersten frei gewählten Landesregierung Mecklenburgs verliehen worden. Bis zum heutigen Tag ist dieser Titel Ehre und Verpflichtung für die gesamte Amtsverwaltung und die Einwohner*innen. Daher befindet sich das Fritz-Reuter-Literaturmuseum, auch im übertragenen Sinne, im Mittelpunkt der kleinen Stadt, im Landkreis Mecklenburger-Seenplatte.

Es könnte so einfach sein. Ein Literaturmuseum für den bedeutendsten Dichter des Niederdeutschen, Fritz Reuter. Eine kleine Sammlung, eine Ausstellung, ein kleines Haus – mehr nicht. Das Fritz-Reuter-Literaturmuseum ist jedoch denkbar vielschichtiger und komplexer. Seine Aufgabenbereiche sind seit 1949 stetig gewachsen. Das Fritz-Reuter-Literaturmuseum ist im Bundesland Mecklenburg-Vorpommern ein wichtiger kultureller Player und sieht sich als Teil einer kulturellen Klammer im norddeutschen Raum. Es ist Anlaufpunkt für eine große niederdeutsch sprechende Community. Gegliedert ist es in die Tourist Information, fünf Archive, eine Fach- und Spezialbibliothek, Besucherbetreuung & Museumspädagogik, Ausstellungen, Veranstaltungsmanagement und eine publizistische Abteilung. Das aktuelle Umfeld ist geprägt von langjährigen konstanten Entwicklungen im personellen Bereich. Dabei haben sich bestimmte Muster und Verhaltensweisen herausgebildet, die notwendige Prozesse nicht in jedem Fall beschleunigen. »Man kennt sich eben« und weiß, wie Interaktion in bestimmten Umfeldern funktioniert. Eine maßgebliche Komponente stellt die Anbindung des Fritz-Reuter-Literaturmuseums an die die kommunale Verwaltung dar. Prozesse werden eher langfristig durchdacht und ein Agieren erfolgt unter verwaltungsgeleiteten Prämissen. Dennoch, Engagement und Überzeugungsarbeit machen am Ende vieles möglich, dass in der Hektik und Dynamik einer Großstadt so nicht mehr realisierbar wäre.

Die vier Mitarbeitenden des Museums sind langjährige Kräfte mit einer Vielzahl an Kompetenzen. Das Team lebt das Museum. In den vergangenen Jahren fühlten sie sich jedoch etwas allein gelassen. Die Position des Museumsleiters war aufgrund längerer Krankheit vakant. Die stellvertretende Museumsleiterin übernahm die Aufgaben kommissarisch. Es entstand eine Mentalität des »Einigeln«, der Überlastung und der geringen Wertschätzung der geleisteten Arbeit durch Dritte. Zudem war das Verhältnis zu der Notwendigkeit der Dokumentation des Handelns gegenüber Dritten, etwa durch aktuelle Vertragsinhalte, nicht vollständig gegeben. Hier galt es den Fokus zu verändern, die Positionen neu zu beschreiben und den Blick auf das Wesentliche zu richten. Es gelang in kurzer Zeit, die Betrachtung zu verändern und neue Projekte anzugehen. Einzig die stellvertretende Museumsleiterin fühlte sich in ihrer bisherigen Tätigkeit durch die neuen Umstände und die neue Entscheidungsgeschwindigkeit in ihrem Handeln in Frage gestellt.

Sind die Rezipient*innen und Besucher*innen von den dargebotenen Projekten, den Möglichkeiten und einem kompetenten Team überzeugt, findet man sehr schnell Zugang zu ihren Herzen. So kann es gelingen sehr zielgenaue Kulturvorhaben zu entwickeln und umzusetzen. In diesem Kontext bewegten sich die ersten fünf Monate im Fritz-Reuter-Literaturmuseum. Die Zeit verlief sehr dynamisch, aber auch sehr produktiv. Die Mitarbeitenden mussten zunächst dazu gebracht werden, ihr bisheriges Tun kritisch zu hinterfragen. Das galt auch für die gefühlte Überlastung und vermeintlich geringe Wertschätzung der Arbeit. Um dies zu erreichen, erfolgte ein Prozess zur Findung eines Leitbildes. Dies war bisher nicht vorhanden, sorgte jedoch für eine Öffnung der Betrachtung. Unter dem Motto »Wer wir sind und was uns ausmacht« erfolgte die Verschriftlichung der neuen Grundordnung des Literaturmuseums. Im Anschluss sollten alle Kolleg*innen einmal ihre Abteilungen und Tätigkeitsschwerpunkte beschreiben und diskutieren. Dies führte zu einer Präzisierung der Tätigkeitsbezeichnungen der Mitarbeitenden. Nach erfolgter innerer Findung ging es in die Außenkommunikation. Der Webauftritt wurde inhaltlich überarbeitet und neu gefasst. Ein Newsletter-System wurde etabliert, die Social-Media-Kanäle zunehmend genutzt. Das öffentliche Erzählen über die eigene Arbeit führte zu einem neuen Selbstverständnis. Entwicklungslinien für die einzelnen Abteilungen wurden beschrieben. Wie soll sich die Fachbibliothek entwickeln? Welche Zielgruppen haben die Archive zukünftig? In welchem Kontext erfolgt die Besucher*innen-Ansprache? Wie wirken sich aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse auf die Dauerausstellungen aus? Was bedeutet modernes Museumsmanagement? Das führte zu einer Kurz-, Mittel- und Langfristplanung, die im Team abgestimmt wurde, dem kommunalen Träger zur Vorlage diente und zur Grundlage eines realistischen Haushaltsbedarfs dient. Nach einer »Stärken-und-Schwächen-Analyse« ergaben sich exemplarisch nachfolgende Aufgaben:

  • Überarbeitung des Auftritts des Museums nach innen und außen;
  • Erstellung von Audioguide und virtuellem Rundgang;
  • Digitalisierung von Archivgütern;
  • Realisierung digitaler Stadt- & Museumsrundgänge;
  • Digitales Museum;
  • Überregionale Vernetzung der Spezialbibliothek;
  • Kooperation mit Universitäten;
  • Ausweitung der Kooperation mit Kindergärten & Schulen;
  • Entwicklung kulturtouristischer Inhalte.

Diese Aufgaben werden gerade unter Hochdruck bearbeitet. Zudem entwickeln sich tragfähige, langfristige Projekte mit verschiedensten Partnern. Hervorzuheben sind folgende Vorhaben:

  • Straße des Niederdeutschen: überregionale Vernetzung von Partnern vor niederdeutschem Kontext;
  • Dreiklang – Dreeklang: Auskopplung der Vernetzung der Städte Stavenhagen, Prenzlau und Wittstock im niederdeutschen Kontext;
  • Fritz Reuter an 365 Orten: multimediales Projekt zur Reuter-Rezeption;
  • Reuterspaziergang: Abschluss der ‚Plattdeutschen Wochen Mecklenburg-Vorpommern‘;
  • Fritz-Reuter-Festspiele: langfristiges kulturelles Projekt in der zweiten Hälfte eines jeden Jahres in Stavenhagen und auf der Straße des Niederdeutschen;
  • Fritz-Reuter-Literaturpreis: Erweiterung und Neufassung des jährlich vergebenen Preises jeweils am 07. November.

Selbstverständlich dient dies auch der weiteren Entwicklung der Besucherzahlen und der Gewinnung neuer Netzwerke und Partner. Das Literaturmuseum hat in der Region Stavenhagen seinen Platz behauptet und seine Bedeutung ausgebaut. Dennoch ist zu beachten, dass die Anzahl von Kulturinteressierten geringer ist als in den Ballungsräumen. Die Wege sind weiter, der Kommunikationsaufwand ist höher. Das bedeutet auch, dass die Finanzierung deutlich vielschichtiger sein muss, da der finanzielle Aufwand der Besucherbindung für die Kultureinrichtung höher ist. Eine Grundfinanzierung, kombiniert mit Projektförderung und Sponsoring sind unabdingbar für eine gute und tragfähige Entwicklung. Die positive Wirkung einzelner Kultureinrichtungen ist zudem stets auch immer das Ergebnis eines hohen Engagements Einzelner.

Großen kulturellen Einrichtungen bieten sich in kleinen Städten und im ländlichen Raum viele Möglichkeiten, sich mit Kreativität und Tatkraft zu überregionalen Leuchttürmen zu entwickeln und ihren Stellenwert zu behaupten. Nimmt man die beschriebenen Herausforderungen an, lässt sich ein positiver Grundkontext für Vorhaben und Herausforderungen entwickeln. Die Geschwindigkeit muss sich ggf. dem Umfeld anpassen. Auch die Mentalität und Erfahrungswelt der Besucher*innen muss dringend in strategische Überlegungen einbezogen werden. Getragen ist das Literaturmuseum von einer dem Niederdeutschen verpflichteten Community. Das gesprochene Niederdeutsch ist vor allem in der älteren Generation lebendig, da es schon im Elternhaus als Umgangssprache gesprochen wurde. Es gibt jedoch eine nachwachsende junge Generation, die die Sprache, u. a. im schulischen Bereich, erlernt und nach eigenen Regeln fortentwickelt. Zudem ist dem Niederdeutsch als Literatursprache zu begegnen, einmal über die Rezeption der Werke Fritz Reuters, aber auch z. B. über eine direkte Kooperation mit dem Bund der niederdeutschen Autoren.

Das Fritz-Reuter-Literaturmuseum steht vor neuen Herausforderungen. So wird sich in Kürze das Museumsareal erweitern, um neu zu übernehmende Archive implementieren zu können und zudem Raum für eine fundierte Ausstellung zu Stadtgeschichte zu haben. Dies bedeutet auch eine verstärkte wissenschaftliche Aufarbeitung der neuen Archivexponate und damit verbunden eine Neufassung der vorhandenen Dauerausstellung. Die Netzwerke erweitern sich ständig. Der kulturtouristische Ansatz ist weiter auszubauen. Eine effektive Projektarbeit muss auch die knappen personellen Ressourcen berücksichtigen. Das Literaturmuseum gewinnt an landespolitischer und bundespolitscher Relevanz. Zahlreiche Politiker*innen haben das Museum in den vergangenen fünf Monaten aufgesucht. Das Museum und die Reuterstadt Stavenhagen sind wichtig für die norddeutsche Identität und die Heimatverbundenheit. Die Kooperation mit Eisenach, Wittstock und Prenzlau wird sich auch über eine kulturelle Zusammenarbeit weiter verstätigen. Immer wichtiger wird für das Museum die Digitalisierung des Archivgutes und der Bestände der Fachbibliothek. Hier gibt es konkrete Ansätze mit der Universität Greifswald, der Uni Bibliothek Rostock und erste Gespräche mit dem Kalliope-Verbund. Derzeit beschäftigt sich das Museum mit der Erarbeitung von einem virtuellen Museumsrundgang und einem zugehörigen Audioguide. Die Erarbeitung des CD und CI ist kurz vor dem Abschluss. Abgerundet wird diese Entwicklung mit einem digitalen Stadtrundgang, der den Nutzer an reale städtische Orte führt, die sich in den Werken Fritz Reuters finden. Um das Niederdeutsche weiter zu pflegen, wird dieser auch einen plattdeutschen Aspekt enthalten. Verstärkt widmet sich das Fritz-Reuter-Literaturmuseum einer nachhaltigen Nachwuchsarbeit. Dabei wird das Museum zum Lernort. Umgekehrt werden Schulen und Kindergärten zu Orten historischer und literarischer Wissensvermittlung. Die vergangenen Monate waren turbulent, kreativ und schön. Daher kann der Text nur oberflächlich Voraussetzungen, Prozesse und Entwicklungen betrachten. Dafür um Verständnis werbend zum Abschluss dieses Zitat von Fritz Reuter:

»Es ist schwer, bei einer Erzählung den rein objektiven Standpunkt festzuhalten und in epischer Einfachheit und Unablässigkeit die Ereignisse wie Perlen an einer Schnur durch die Finger rollen zu lassen.«

»Provinz ist eine Möglichkeit.« Walter Höllerer

von Patricia Preuß

Das Literaturhaus Oberpfalz:

eine Lesebühne in der bayerischen Provinz

Bei den Veranstaltungsprogrammen des Literaturhauses Oberpfalz stehen literarische Neuerscheinungen im Fokus. Als Veranstalterin und Literaturvermittlerin habe ich als ideales Publikum neugierige Menschen vor meinem Auge, die sich auf neue Namen, Stimmen und Gesichter einlassen. Das sehe ich gleichzeitig als Kernaufgabe: Ein Veranstaltungsprofil so zu gestalten, dass ein Publikum (heran)wächst, das offen und neugierig bleibt. Eine simple, aber längst nicht selbstverständliche Voraussetzung dabei ist die Fähigkeit, eine Stunde oder auch mal 90 Minuten konzentriert zuhören zu können. Es gibt eine kleine Lesebühne, auf der in der Regel zwei Menschen sitzen, manchmal auch mehr. Einer hat ein Buch geschrieben und liest daraus, der andere hat es gelesen und kitzelt im Gespräch Interessantes zu Stoff und Inhalt, zur Schreibarbeit, oft auch zur (Schreib)Biografie heraus. Das Format der moderierten Lesung also, immer wieder mal als »Wasserglas-Lesung« bespöttelt. Das Gespräch als klassische Form der Vermittlung, Literatur als soziale Praxis. Wir halten daran fest, gerade in Zeiten, in denen sich auch kulturelle Vermittlung immer mehr in den digitalen Raum verlagert. (Dieses Entwicklung wollen wir nicht ignorieren, aber sie ist weniger für den Veranstaltungsbereich als vielmehr für die Konzeption unserer neuen Literaturausstellung eine zentrale Herausforderung.)

Nun erscheint jedes Jahr im Frühjahr und im Herbst eine Unmenge neuer Titel. Welche Autorinnen oder Autoren mit ihren neuen Büchern also auswählen? Erst mal so viel Bücher wie möglich vorab selbst lesen, sich selbst davon überzeugen, was in den Verlagsvorschauen angekündigt wird. Mittlerweile gibt es auf den Verlagsseiten Leseproben. Manche Verlage schicken einem die Druckfahnen zu oder auch Vorabexemplare. Natürlich kennt man im Laufe der Jahre viele Autoren und Autorinnen, verfolgt ihre Entwicklung, ist gespannt auf das nächste Buch. Und natürlich spielen aktuelle Themen und Diskurse eine Rolle bei der Auswahl, immer aber mit dem Blick darauf, wie diese literarisch umgesetzt werden.

© Literaturarchiv Sulzbach-Rosenberg

Da wir als vergleichbar kleines Haus in der ländlichen Region nicht in der Dichte eines großstädtischen Literaturhauses Lesungen veranstalten, d. h. ein bis zwei Lesungen im Monat, ist die Auswahl schon daraufhin einzuschränken, dann gilt es, sich einen Termin im Rahmen der meist von den Verlagen organisierten Lese-Touren zu angeln. Da lässt sich mancher Wunsch (erst mal) nicht umsetzen, da braucht man das eine oder andere Mal einen langen Atem, bis bestimmte Wunschnamen dann tatsächlich im Programm zu lesen sind.

Wichtig für unser Programm sind darüber hinaus bestimmte Schwerpunkte, die sich aus überregionalen oder lokalen Kooperationen heraus entwickelt haben.

Die Nähe zur tschechischen Grenze führte Anfang der 1990er Jahre zu ersten Aktivitäten, den Literaturaustausch zwischen beiden Ländern und Sprachen zu fördern. In Kooperation mit dem Adalbert Stifter Verein, München, und dem České literární centrum, Prag, veranstalten wir seit ein paar Jahren sowohl öffentliche Lesungs-Podien mit tschechischen und deutschen Autoren und Autorinnen als auch mehrtägige Vernetzungstreffen, in denen der Austausch über Schreibprojekte und -bedingungen im Zentrum steht. Wir sind daher gut vernetzt, auch mit Übersetzern und Übersetzerinnen, und immer auf dem Laufenden, welche Neuerscheinungen aus Tschechien auf dem deutschen Buchmarkt anstehen.

Als Mitglied der Bayerischen Akademie des Schreibens sind wir in Kooperation mit dem Literaturhaus München regelmäßig ein Ort für Schreibseminare und lernen junge Autorinnen und Autoren mit ihren aktuellen Romanprojekten kennen. Auch das sind immer intensive Tage des Austauschs, die nicht öffentlich sind. Die Akademie hat es sich zur Aufgabe gemacht, Autorinnen und Autoren auch auf ihrem Weg zu den Verlagen zu fördern. Nicht selten sind Absolventen und Absolventinnen der Akademie bei uns zu Gast, wenn die Romane fertiggeschrieben und die Bücher erschienen sind.

Zusammen mit einem Kulturverein vor Ort, der sich der Räume einer ehemaligen Verlagsdruckerei angenommen hat, organisieren wir alle zwei Jahre die »Regionalbuchmesse Oberpfalz«, die sich inzwischen zu einem Branchentreff nicht nur der ostbayerischen Verlage entwickelt hat. Inzwischen stellen unabhängige Verlage aus ganz Bayern ihre Bücher und Programme aus. Auch diese Netzwerkarbeit fließt an der einen oder anderen Stelle in das Veranstaltungsprogramm zurück.

Ist nun der Standort im ländlichen Raum ein Nachteil? Sulzbach-Rosenberg ist ein sogenanntes Mittelzentrum, eine Stadt mit knapp 20 000 Einwohnern und Einwohnerinnen, es gibt keine Universität, in der Altersstruktur fehlen die 20- bis 35-Jährigen, der öffentliche Nahverkehr ist ausbaufähig, die Städte Regensburg und Nürnberg sind jeweils ca. 45 Minuten entfernt. Natürlich wünschen wir uns oft mehr Besucher und Besucherinnen. Im Schnitt sitzen um die dreißig Meschen in der Veranstaltung, ab und zu gibt es Ausreißer nach unten, bei bekannteren Namen gehen wir schon mal außer Haus in einen größeren Veranstaltungsraum. Es gab Anlaufschwierigkeiten nach der Corona-Pause, aber wir sind verhalten optimistisch: Seit Jahresbeginn haben sich die Besucherzahlen wieder auf Vor-Corona-Niveau eingependelt und wir bekommen vom Publikum das Feedback: Schön, dass das Haus wieder offen und eine persönliche Begegnung wieder möglich ist.

Schwieriger geworden ist die regionale Pressearbeit: In unserer Tageszeitung, die die ganze Region, und somit unseren Einzugsbereich bedient, spielen Kultur und kulturelle Veranstaltungen immer weniger eine Rolle. Veranstaltungen werden längst nicht mehr in dem Maß angekündigt wie vor Corona: Ein Magazin-Teil mit Kulturterminen wurde komplett eingestellt, ebenso die Nachberichterstattung (man beruft sich hier auf schlechte Klick-Zahlen bei Online-Artikeln). Ab und an gibt es vor den Veranstaltungen Interviews mit den eingeladenen Autorinnen und Autoren. Wir versuchen dieses Defizit bei den Ankündigungen über unsere digitalen Möglichkeiten (Newsletter, Website, Facebook, Instagram) aufzufangen. Eine wegfallende Nachberichterstattung durch Journalisten und Journalistinnen können wir dagegen nicht ausgleichen. Das schmerzt umso mehr, als Presseartikel nicht zuletzt auch als Nachweise für geförderte Veranstaltungen wichtig sind.