Literaturerbe


Worum geht’s?

Was durch Kultur vererbt wird und wie Literatur es vermitteln kann

Literatur als kulturelles Erbe kann Gesellschaften und Individuen prägen und Zusammenhalt kreieren. Immaterielle und materielle Zeugnisse der Vergangenheit stiften Identität und Sinn. Sie verbinden, bilden einen Bezugspunkt in Raum und Zeit und haben laut UNESCO einen universellen Wert für die gesamte Menschheit. Kulturelles Erbe trennt allerdings auch. Nationen grenzen sich mit ihrem Erbe ab, markieren Unterschiede etwa zu benachbarten Nationen. Doch weder Gesellschaften noch deren Kulturerbe sind statisch. Sie befinden sich in einem ständigen Wandel. Jede Generation schafft sich Erinnerungen. In jedes Bild, das von der Vergangenheit entsteht, fließt die Gegenwart ein. 

Im Rahmen des Projekts Vererbt, vergöttert, vergessen? Über die Bedeutung und Vermittlung von Literatur als kulturelles Erbe beschränken wir den Begriff des kulturellen Erbes nicht auf die UNESCO-Listen, sondern erweitern und hinterfragen ihn kritisch. Literatur als kulturelles Erbe und Sprache als ein großer Teil dieser sollen unter ausgewählten Aspekten dieses Themas vermittelt werden. Zentrale Fragestellungen sind: Was bedeutet es, Kultur zu erben? Wer hat etwas davon? Und was kann kulturelles und insbesondere literarisches Erbe leisten? Welchen Zusammenhang hat literarisches Erbe genau mit der Gegenwart? Wie sollte sich die nächste Generation erinnern und was soll und muss für sie bewahrt werden? Doch wenden wir uns zuerst dem Begriff des kulturellen Erbes zu.

UNESCO

Zusätzlich zum materiellen Kulturerbe wird seit 2003 auch immaterielles Kulturerbe aufgelistet. Zu diesem gehören Bräuche, Traditionen oder kreative Ausdrucksformen, die praktisch angewandt und von Generation zu Generation weitergegeben werden. Bislang gibt es in den internationalen Listen 678 Einträge. Deutschland setzt sich seit 2013 für den Erhalt immateriellen Kulturerbes ein. Im bundesweiten Verzeichnis des immateriellen Kulturerbes sind 131 Einträge, z. B. gehören Poetry Slam oder Niederdeutsches Theater dazu. 

Zudem gibt es das Weltdokumentenerbe. Weltweit sind 427 Dokumente verzeichnet, 24 davon in Deutschland. Es sind dokumentarische Zeugnisse der Menschheitsgeschichte, die als Wissensquelle und Gedächtnis der Menschheit dienen, beispielsweise Goethes literarischer Nachlass, die Hausmärchen der Brüder Grimm oder das Nibelungenlied. 

Doch was macht diese dokumentarischen Zeugnisse so besonders und unterscheidet sie von anderen literarischen Schätzen, die in Museen, Bibliotheken oder Gedenkstätten bewahrt werden? 

Literarisches Erbe und die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM)

Arbeitsgemeinschaft Literarischer Gesellschaften und Gedenkstätten e. V. 

Vererbt, vergöttert, vergessen? Über die Bedeutung und Vermittlung von Literatur als kulturelles Erbe

Im Juli 2022 erhielten wir eine Bundeszuwendung aus dem Förderprogramm der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien Kultur in ländlichen Räumen. Die Mittel stammen aus dem Bundesprogramm Ländliche Entwicklung (BULE) des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft. Sie sollen die Vermittlungsarbeit der ALG-Mitgliedseinrichtungen unterstützen, insbesondere im ländlichen Raum. 

Literatur zu vermitteln und kulturelle Zeugnisse zu präsentieren, ist nicht leicht. Wir möchten in dem Projekt die Vermittlungsorte literarischen Erbes sichtbarer machen und die Bedeutung von literarischem Erbe für die Gegenwart hervorheben. Für ein möglichst breites Publikum sollen Zugänge zu literarischem Erbe geschaffen und es soll Begeisterung für Literatur geweckt werden. Doch wie?

Fünf Unterthemen zu dem Thema „Literatur als kulturelles Erbe“, die individuelle Anknüpfungspunkte zu den jeweiligen literarischen Schwerpunkten der Einrichtungen ermöglichen, laden dazu ein, sich dem Thema anhand einer literarischen, (literatur-)historischen, politischen oder sozialen Fragestellung anzunähern und das Erbe mit Gegenwartsperspektiven zu verknüpfen:

Kulturelles Erbe und Heimat/Nation

Einer Nation wird oft ein bestimmtes kulturelles Erbe zugeschrieben, z. B. ausgewählte Nationaldichter*innen, Nationaldenkmäler oder bedeutende historische Ereignisse. Welche nationalen Held*innen werden erinnert? Welche Texte gehören in das nationale Gedächtnis und warum?

Kulturelles Erbe und Geschlecht

Kulturelles und literarisches Erbe sind vorwiegend männlich geprägt. Nicht nur weibliche Geschichtserfahrung oder „weibliches Erinnertwerden“ sind eine Leerstelle – es gibt viele verschiedene Geschlechtsidentitäten und -orientierungen. Wer wird erinnert und wer wird vergessen? In welchem Zusammenhang stehen Geschlecht und kulturelles Erbe?

Kulturelle Identität und Sprache

Sprache kann ein Schlüssel zu einer Kultur sein. Heutzutage fühlen sich viele Menschen nicht mehr nur einer Sprache zugehörig, sind mehrsprachig. Manche Sprachen, etwa regionale Sprachvarietäten, sterben wiederum aus. In der Literatur zeigt sich der Verlust von Sprache(n) sowie der Gewinn durch Mehrsprachigkeit und die Vielfalt kultureller Identitäten. Entsteht beim Schreiben zwischen zwei Sprachen ein neues kulturelles Erbe? Inwieweit prägen Kultur und kulturelles Erbe Identität?

Schwieriges Erbe/Dark Heritage

Der Begriff des kulturellen Erbes ist zumeist positiv konnotiert. Kulturelles Erbe ist jedoch nicht nur reich an bewundernswerten Traditionen oder Texten. Es kann auch dunkel und schwierig sein: Was gehört wem? Welche Rolle spielen z. B. koloniale Machtverhältnisse in der Frage nach kulturellem Erbe?

Unterschiedliches kulturelles Erbe in Ost und West

Erinnerungsarbeit in Ost und West ist bis heute durch große Unterschiede geprägt. Während auf ostdeutscher Seite ein tiefer Bruch und eine Einteilung des Lebens in ein „Vorher“ und „Nachher“, die ganze Biografien infrage stellen konnte, prägend war, gibt es auf westdeutscher Seite eine scheinbar nahtlose Kontinuität und somit auch eine gänzlich andere Erinnerungsarbeit. Das Leben wird häufiger als Ergebnis individueller Erfahrungen betrachtet, politische Rahmenbedingungen werden seltener als einflussnehmender Faktor angesehen und somit auch als weniger erzählenswert. Was wurde in der DDR erinnert, was in der Bundesrepublik, welches kulturelle Erbe gibt es jeweils in und aus beiden Staaten und was sind Gemeinsamkeiten?

Was passiert wann?

Das Projekt läuft insgesamt zwei Jahre. Das erste Jahr, in dem wir uns momentan befinden, soll eine Grundlage schaffen: Wir geben die Publikation Einführung und Impulse mit Hilfestellungen und Anleitungen zur Umsetzung der Unterprojekte heraus. Sie soll eine flexible und unkomplizierte Durchführung von Veranstaltungen, Podiumsdiskussionen, Podcasts oder anderen Vermittlungsformaten zum kulturellen Erbe – insbesondere für kleinere Einrichtungen und im ländlichen Raum – ermöglicht werden. Parallel zur Konzeptionsphase entsteht ein Blog, der Teile der Publikation aufbereitet und zur Verfügung stellt, damit die ALG-Mitgliedseinrichtungen fortlaufend Unterstützung für die Antragstellung und Projektplanung finden. Das zweite Jahr umfasst die Realisierungsphase der Projekte bis hin zur Entwicklung einer Ausstellung.

Wie sieht unsere Unterstützung im Detail aus?

Einführung und Impulse: Das Buch zum Projekt

Die Publikation leitet in das Thema Vererbt, vergöttert, vergessen? Über die Bedeutung und Vermittlung von Literatur als kulturelles Erbe ein, stellt wissenschaftliche Perspektiven vor und erläutert die fünf Unterthemen. Fünf Autor*innen wenden sich den ausgewählten Unterthemen des kulturellen Erbes zu. Mögliche Vermittlungsformate werden angeboten und sollen die Planung und Umsetzung der Projekte erleichtern. Einführung und Impulse wird analog und digital verfügbar sein. 

Vermittlungsformate

Es werden drei Vermittlungsformate angeboten: 

Veranstaltungsformat: Im Rahmen eines Veranstaltungsformats können literarische Einrichtungen zu Lesungen oder Podiumsdiskussionen einladen, ihr Kulturgut in den Fokus rücken und zur Debatte über Literatur als kulturelles Erbe bzw. das ausgewählte Unterthema anregen. 

Partizipatives Format: Im Rahmen eines partizipativen Formats nähern sich z. B. Schüler*innen im Zuge einer Schreibwerkstatt dem Thema „Literatur als kulturelles Erbe“ beziehungsweise dem ausgewählten Unterthema gemeinsam mit Autor*innen an oder besuchen ein Archiv und tauchen dort anhand konzipierter Arbeitsaufträge in die kulturelle Erinnerungsarbeit ein, beispielsweise in Kooperation mit einer Schule, VHS, Bibliothek, einem Jugendzentrum oder anderen lokalen Partner*innen.

Digitales Format: Ein drittes Format ist das digitale Format, das kulturelles Erbe auch außerhalb der Archive, Depots oder Ausstellungsräume sichtbar macht. Die Einrichtung kann z. B. einen Podcast realisieren, eine Video-Zeitkapsel erstellen, einen Comic mit einer App kreieren oder einen Kurzfilm drehen, der sich mit Literatur als kulturelles Erbe bzw. dem ausgewählten Unterthema beschäftigt.

Förderprogramm

Folgende Vermittlungsformate stehen zur Auswahl:

– Veranstaltungsformat
– Partizipatives Format
– Digitales Format

Info- und Austauschveranstaltung

Am 13. Juni 2023 laden wir zu einer Info- und Austauschveranstaltung in die Bundesakademie für Kulturelle Bildung nach Wolfenbüttel ein, führen thematisch tiefer in das Thema ein, regen zum Austausch über Projekte an und klären offene Fragen. Die Veranstaltung soll auch der Vernetzung dienen. Vielleicht finden Sie eine*n Kooperationspartner*in? 

Ausstellung

Anhand lebendig gestalteter Ausstellungsmodule soll das Thema Vererbt, vergöttert, vergessen? Über die Bedeutung und Vermittlung von Literatur als kulturelles Erbe abschließend präsentiert werden. Unter anderem sollen die Projektbeiträge sichtbar und bekannt gemacht werden. Werden Sie mit Ihrem Projekt Teil der Ausstellung. 

Mitmachen